Mythos AlbgauTeil II zum Alpgau. → zum I.Teil — Der Alpgau Das Albtal bei Tiefenstein, das erst ab den 1860-er Jahren durch eine Straße erschlosssen wurde. |
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Für den entstandenen Mythos um den "Albgau" gibt es mehrere Gründe. Der bedeutendste ist jedoch die deutsche Befindlichkeit, die im 19 Jahrhundert bei zahllosen Veröffentlichungen die markantesten Stilblüten trieb. Als nur eines von zahllosen Beispielen sei Bär, der Chronist des badischen Straßenbaus in 19. Jahrhundert, angeführt, der wenige Jahre nach der Gründung des II. Deutschen Kaiserreiches sein im Kern mit buchhalterischer Genauigkeit verfasstes Sachbuch veröffentlichte. In seiner Einleitung zur Geschichte des Straßenbaus spult er das ganze Repertoire der Geschichtsschreiber seiner Zeit ab, um über Indizien zu belegen, dass die hiesige Bevölkerung ebenso wie die Römer über Straßen verfügte. Gleichzeitig glaubt man zu spüren, dass er geradezu darunter litt, dass nie auch nur ein Meter einer solchen Kelten- oder Germanenstraße, wenigstens die Reste eines Gefährtes, das sie benutzten, entdeckt wurden. Aber zu dieser Zeit war es keinesfalls salonfähig an der heroischen und mindestens der römischen ebenbürtigen Geschichte unserer Vorfahren ernsthaft zu zweifeln. Von einer Auswahl der bedeutendsten Geschichtenschreiber, die zum Teil Opfer des Zeitgeistes wurden und ansonsten seriös arbeiteten, sollen hier einige wichtige, teilweise gut gemeinte und eben auch teilweise vorsätzliche oder fahrlässige Fehlschlüsse entzaubert werden. Die GeschichtsschreiberEinige der wichtigsten Persönlichkeiten, die zur Hochzeit der Mythenbildung diese aktiv vorantrieben, aber auch einzelne die, dem Zeitgeist widerstehend, sachlich blieben, sollen hier zunächst mit ein paar Eckdaten zur Person vorgestellt werden: ÆgidiusTschudiAls ein früher Schweizer Geschichtsschreiber, der 1505 in Glarus geboren wurde und 1572 auf seiner Burg Gräpplang bei Flums starb, entwickelte bereits Tschudi Phantasien, die bei den Albgaumythen Eingang fanden. Er hat in erster Linie die Geschichte der Schweiz von der ersten Jahrtausendwende bis ins 15. Jh. niedergeschrieben. Trotz seines an sich bedeutenden Werks ist er bekannt dafür, dass er bei Bedarf mit äußerst zweifelhaften Mitteln die Geschichte an seine Vorstellungen anpasste. ![]() Abb. 1: C.B.A. Fickler in den späten 1860-er Jahren. Quelle: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar in Donaueschingen, hier aus: F. Walter, Geschichte Mannheims. Martin GerbertFranz Dominikus Bernhard Gerbert von Hornau wie Martin Gerbert ursprünglich hieß, wurde 1720 in Horb am Neckar geboren. 1764 wurde er zum Fürstabt des Klosters St. Blasien gewählt und starb 1793 in St. Blasien. Zu seiner Zeit war das Kloster eines der bedeutendsten in Europa und insbesondere durch die Arbeit des Hofkaplan Trudpert Neugart für seine Geschichtsforschung bekannt. Gerbert spezialisierte sich auf Musikgeschichte, äußerte sich aber auch zu anderen Geschichtsthemen. Franz KreutterDer 1736 in Freiburg im Breisgau geborene Kreutter hatte mütterlicherseits Herrgott -neben Neugart eine Urkundenkoryphäe in St. Blasien- zum Oheim, so dass sein Eintritt in das Kloster nicht verwundert. Mit Martin Gerbert absolvierte er ein Studium in Paris wurde nach seinem Eintritt in das Kloster St. Blasien zum Priester geweiht, später zum Professor der Philosophie und zum Hofkaplan berufen. Als Großkeller verwaltete er zeitweise die Propsteien Bürgeln und Gurtweil. Ende 1806 starb er, kurz nach der Auflösung des Klosters St. Blasien ebenda. Josef BaderAls Sohn einen gräflich Schwarzenbergischen Beamten im Klettgau wurde Bader 1805 in Tiengen geboren und starb 1883 in Freiburg. Seine Gymnasialbildung erhielt er in Freiburg und studierte dort zunächst Theologie wählte später aber das Jurastudium. Er wurde wegen Fehlverhaltens von der Universität relegiert und fiel später durch seine Arbeiten zur Heimatgeschichte auf. In der Folge konnte er eine Stelle als Volontär am Provinzialarchiv in Freiburg antreten, wurde 1837 „Gehülfe“ am General-Landesarchiv in Karlsruhe, dem er von da an bis 1872 angehörte. 1841 erwarb er an der Universität Freiburg die Doktorwürde und wurde 1841 zum Kanzlisten, 1844 zum Assessor, 1845 zum Archivrath befördert. Carl Borromæus Aloys FicklerIn Konstanz 1809 geboren absolvierte er in den 20-er Jahren das dortige Lyceum und studierte danach in Freiburg Theologie und Philosophie. Nach der Priesterweihe 1831 entschied er sich für den Schuldienst und wurde Gymnasialprofessor in Donaueschingen. Dort war er von 1842 bis 1848 Vorsitzender des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar. Danach wirkte er als Professor in Rastatt und Mannheim, wo er 1871 verstarb. Er war der Bruder des badischen Revolutionärs Joseph Fickler und er wurde 1849 mit der Verteidigung der Angeklagten nach dem Fall Rastatts beauftragt. Fickler zeichnet aus, dass er sich, entgegen dem Zeitgeist, unbeirrt an den geschichtlichen Fakten orientierte. Albert KürzelDer 1811 in Freiburg im Breisgau geborene Kürzel wurde 1837 zum Priester geweiht. Er war zunächst Vikar in Bettmaringen, ab 1847 Pfarrer in Eschach und von 1851 bis 1865 in Gündelwangen. Er beschäftigte sich mit heimatlicher Geschichtsforschung und war bekannt mit Joseph Bader. Zahlreiche Schriften entstanden vor allem in seinen letzten Jahren in Ettenheimmünster. Er starb 1884 im Kloster in Ettenheimmünster. Julius Cramer1830 wurde Cramer[1] in Minden/Westfalen als Sohn eines Regierungssekretärs geboren und starb 1906, mutmaßlich an seiner letzten Wirkungsstätte, wo er auch begraben liegt. 1858 nach bestandenem zweiten Staatsexamen trat er eine Assessoren-Stelle im Bezirk des Appellationsgerichts Hamm an. Danach war er Kreisrichter in Hechingen mit der Funktion eines Einzelrichters in Haigerloch, wurde 1874 Kreisgerichtrat und zwei Jahre später Kammergerichtsrat. 1879 wurde Cramer an das neu geschaffene Oberlandesgericht Frankfurt am Main versetzt, 1888 zum Präsidenten des Landgerichts Limburg ernannt und 1893 als Landgerichtspräsident nach Wiesbaden versetzt. Ein Jahr vor Veröffentlichung seiner Gaugeschichte trat er in Pension. Georg TumbültTumbült wurde 1856 in Münster geboren und starb 1947 in Donaueschingen. Er promovierte 1879 an der Akademie in Münster zum Doktor der Philosophie, studierte zeitweise auch an den Universitäten München und Straßburg. Zunächst war er in den Archiven von Münster und Düsseldorf tätig, wurde 1886 als Archivsekretär an das Fürstlich Fürstenbergische Archiv nach Donaueschingen berufen und 1899 Nachfolger von Franz Ludwig von Baumann, Vorstand des Archivs. 1903 beförderte man ihn zum Archivrat und 1928 zum Oberarchivrat. Zum 1. Juli des Folgejahres trat er in den Ruhestand. Von 1897 bis 1930 war Tumbült Vorsitzender des Baarvereins, des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar. Walter SchulzeSchultze wurde 1862 in Kolberg/Pommern geboren und starb 1939 in Berlin. Er studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 1883 promovierte er ebendort zum Doktor der Philosophie und arbeitete als Historiker und Bibliothekar zunächst in Halle, später in Berlin. Irrtümer & FälschungenBesiedlungs-Mythos![]() Abb. 2: Schweizer Karte des Aegidius Tschudi aus seinem Werk „URALLT WARHAFFTIG ALPISCH RHETIA“ (1538). Tschudi selbst bezeichnet hier den Schwarzwald nicht als Schweizer Verlassenschaft, wie nachfolgende Kartografen, sondern als Hercynischen Wald („Hercinia silva“). Die Karte ist in etwa gesüdet. Auch die Mythenjäger kamen nicht umhin einzugestehen, dass ein Albgau nur auf Gebieten existiert haben kann, wo es auch Gau-Bewohner gab. Um den frühgermanischen Staats-Phantasien eines flächendeckenden Gaugebildes eine Grundlage zu geben, mussten also Beweise für eine Besiedlung der betroffenen Gebiete gefunden werden. Mangels Spuren unserer Vorfahren im gesamten Hochschwarzwald, z. B. Schriften, Bauwerke, Abbildungen, Grabstätten usw., die eine Besiedlung hätten belegen können bzw. müssen, strapazierte man die wenigen knappen Aussagen der antiken Geschichtsschreiber und Geographen. Strabo, der griechische Geograph aus Alexandria, verarbeitete u. a. römische Berichte, z. B. jene von Caesar, und malte sich damit das ihm ansonsten völlig fremde Europa aus. Während er in seinem ersten Geographieband z. B. die Quelle der Donau noch in den Pyrenäen wähnt, korrigiert er deren Lage bis zum Ende seines Werkes auf ein Gebiet, das man der Baar zuschreiben könnte. In diesem ganzen Spekulationsreigen zu Donauquelle finden sich neben der Bretagne auch die Schweizer Alpen.[2] Die Angaben der antiken Quellen sind in der Regel äußerst vage, wie auch die des herkynischen Waldes, der alle Wälder nördlich der Donau zwischen Rhein und dem Thüringer Wald beschreibt. Außerdem sind die griechischen Original-Texte teilweise als Übersetzungen ins Lateinisch ausgewertet worden, was für deren korrekte Interpretation nicht hilfreich war. Aber gerade vage Angaben sind für Mythenjäger ein gefundenes Fressen. Hierzu schlachteten diese eine Aussage des Ptolemæus. und eine des Tacitus aus. In seiner Geographie II, 11, „Germaniae magnae situs“, Originaltext in Griechisch, berichtet Ptolemäus von einer Helvetischen Wüste, ins Lateinische als desertum oder eremus[3] übersetzt, die zwischen den Variones und Caritni und den Alpen[4] läge. Ein weiterer Satz wird aus den Schriften von Tacitus gezogen: „So wohnten zwischen dem herkynischen Wald und den Flüssen Rhein und Main die Helvetier, weiterhin (nach Osten) die Boier, beides gallische Völkerschaften.“[5] ![]() Abb. 3: Basiliensis Territorii descriptio nova, S. Münster. Die Karte ist geostet. Die Lage des Gebietes lässt sich jedoch auch dann nicht bestimmen, wenn man beide Angaben berücksichtigt, was jedoch Geschichtsträumer nicht daran hindert eine Ortsbestimmung zu postulieren. Einer der frühen Interpreten dieser antiken Geografie ist Tschudi, der Ptolemæus[6] die Zuordnung dieser Schweizer Verlassenschaft zum Schwarzwald andichtet.[7] Dass Ptolemäus die Verlassenschaft ausdrücklich außerhalb des Abnoba-Gebirges, also dem Schwarzwald, platziert, scheint Tschudi einfach zu ignorieren und noch viel weniger kümmern ihn die fehlenden Siedlungsspuren, die auch nur im Ansatz die Anwesenheit eines ganzen Volkes hätten belegen können. Doch die Erklärung der Albgaugläubigen, die sich später auf diese Interpretation stürzen, ist völlig simpel: Die Helvetier, die ja bekanntlich in der Schweiz leben, sind einfach ausgezogen, offenbar besenrein einschließlich ihrer Gräber. Der Schwarzwald wurde nun als eremus Helvetiorum in vielen Karten aufgenommen. Bei einzelnen Autoren des 19. Jahrhundert meint man leise Zweifel an einem solchen Umzug aus dem Urwald herauszulesen, doch richtige Kritik an den Staatshistorikern war in den national geprägten Perioden unserer Geschichte nicht vorstellbar. Der Zweck heiligt die MittelAuch eine andere Geschichtsklitterung scheint bei Aegidius Tschudi ihren Anfang zu nehmen. In seinem Werk, publiziert 1758[8], macht er folgende Aussage: „So spricht Strabo lib .4. daß Alp- und Alb ein Ding:“, was der Autor -ohne ersichtlichen Zusammenhang- gleich um Anlass nimmt, Tacitus im Wort Arbona einen Schreibfehler zu unterstellen (Albona). Bei Tschudi verwundert Letzteres wenig, da bekannt ist, dass er die Geschichte im Notfall auch durch eigene Fälschungen seiner Phantasie anpasste. Auch die von ihm genannte Aussage Strabos ließ sich im 4. Band über die Transalpinen Lande von Autor dieser Schrift bisher nicht auffinden. Wenige Jahre nach der Veröffentlichung von Tschudis Aussagen macht sich Gerbert auch in dieser Sache zum Geschichtsfälscher indem er „Alp“ und „Alb“ recht widersprüchlich in einen Topf wirft. Das Kloster, so erklärt er, „welches die weiße Zelle gewesen, wie dann auch die Brüder zur Alb von dem Albfluß genennt wurden; woher der Name Albgäu (ist einerley, wenn man es von den Alpen das Alpgäu nennen will) gekommen, ...“.[9] Weiter erklärt Gerbert, dass „Alp“ und „Alb“ den gleichen griechischen Ursprung hätten und gleichermaßen für Fluss und Berg stünden. Für Tschudi und für Gerbert gilt, das beiden der klare Unterschied im Gebrauch der Wörter hätte bewusst sein müssen. Gerberts Herleitung aus dem Griechischen ist weit hergeholt und in seiner Doppeldeutigkeit nicht nachvollziehbar. Beide haben wohl das Motiv die Geschichte in ihrem Sinn schreiben zu wollen, wobei Gerbert, der dem europaweit bedeutenden Kloster an der Alb in dessen Zenit vorstand, das Motiv unterstellt werden kann, dem Kloster eine größere geschichtliche Bedeutung im Zentrum des vermeintlichen großen Albgaus zu hinterlassen. Schulze, der gut 100 Jahre nach Gerbert die Gaue Badens beschreibt, postuliert: „Der Albgau … ist nach dem Flusse Alb benannt …. Dem Worte Alb liegt die indogermanische Sprachwurzel alb zu Grunde, welche, in Ortsnamen verwendet, sowohl Berge als Flüsse bezeichnet.“[10] Bei Gerbert noch griechisch, nun indogermanisch, weiter unten im Text noch keltisch - die Verdrehung fremder Sprachen zum Beweis eigener Phantastereien scheint ein Volkssport unter Mythenjägern zu sein. Die Verwirrung wird bei Schulze nicht weniger groß, wenn dieser schon im nächsten Satz, ohne es beim Namen zu nennen, wieder auf das Lateinische alba zurückgreift, das nun auch für kristallklar stehen soll, und erklärt: „Die schwäbische Alb trägt gegenüber den Tannenwäldern des Schwarzwaldes wegen ihrer weissschimmernden Kalkmauer den Namen die ‚Weisse', ‚Alba'; die Flüsse verdienen die Bezeichnung wegen ihres klaren, kristallhellen Bergwassers.“ HalbwahrheitenCramer, der den germanischen Stämmen, die ihren „Befreier“ von den Römern, Arminius, meuchelten und keinerlei Techniken einer organisierten Verwaltung beherrschten, mit einer gewissen Besessenheit eine Staatsorganisation andichtete, die der der Römer ebenbürtig gewesen wäre, übernimmt Gerberts Argumentation, ebenfalls ohne stichhaltige Erklärung und schreibt an einer Stelle: „Alb oder Alp ist der Name von Gebirgen und von Flüssen. Als Gebirgsname …. Als Flussname gehört er im Schwarzwald der Alb an, welche der Theilgaugrafschaft Albgau den Namen gegeben hat, …“.[11] Einige Seiten später gesteht Cramer, dass er sich nicht auf den Fluss Alb einschießen kann. „Der Name rührt entweder von dem Flusse Alb, der bei Albbruck in den Rhein fällt, oder von der Alp, einem hohen Gebirgsrücken westlich von Stühlingen her, und wird Albgau geschrieben.“[12] Die Größe den Alpgau richtig zu schreiben hatte er jedoch auch bei seinem Anflug von Selbstkritik nicht, was den Albgauphantasten gemein ist. ScheuklappenNicht wenige Möchtegern-Geschichtsschreiber sind auf einem Auge Blind, so auch Tumbült, der die Fußnote im Beitrag von Bader in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins korrigiert, die da lautet: „Man schreibt gewöhnlich ‚Albgau' nach dem Flüsschen ‚Alb' im Hauensteinischen. Jn den ältesten Urkunden werden aber beide Namen einander gerade entgegengesetzt. So lesen wir bei Gerbert[13] (III, 2, 7 und 16) in einer Urkunde von 858: Cella, quae dicitur Alba (die Zelle an der Alb) in pago Alpigowe; in einer anderen von 866 ebenfalls: In Alpigowe cella quae dicitur Alba, und in einer dritten von 983: Ad montem Veltperch et ortum Albae. Jn allen Urkunden des 8ten und folgenden Jahrhunderts, worin unseres Gaues erwähnt wird, bei Neugart (I, 74, 153, 253, 265, 307 und 323), lautet er Alpigavia oder Alpegowe. Es ist daher wahrscheinlicher, dass derselbe nach der Alp hinter Stühlingen, einem Gebirgsrücken von 2642'[14] über der Meeresfläche, als nach dem Albwasser benannt worden sei, obwohl alp und alb im Keltischen die gleiche Wurzel haben.„[15]. Grenzphantasien![]() Abb. 4: Deutschland um das Jahr 1000 - Phantasie einer voll entwickelten Staatsstruktur. Immerhin ist Alpegowe hier richtig geschrieben. Quelle: G. Droysens Historischer Handatlas, 1886; Digitale Bibliothek MV. ![]() Abb. 5: Auf 500 - 800 n. Chr. werden die Gauphantasien von den Nationalsozialisten auch noch vordatiert. Quelle: Heimatatlas der Südwestmark Baden (Schulatlas), Künstlerbund Kunstdruckerei Baden, Dez. 1934. Für die Gaunationalisten waren die Gebiete wohl immer schon nahtlos in Gaue aufgeteilt. So war es unabdingbar, dass genaue Grenzen definiert werden mussten. Wo besiedelte Gebiete aufeinander stießen, war diese Spekulation relativ einfach und auch nicht sehr fehleranfällig. So war die Wutach im Großen und Ganzen wohl tatsächlich die Grenze zwischen Alpgau und Klettgau. Doch schon hier sind uralte Abweichungen möglich, da die Grafschaft Stühlingen, lange nach dem Alpgau, noch Besitzungen links der Wutach hatte, was aus uralten Rechten herrühren könnte[18]. Der Eifer der Gaugeschichtler ging nun dahin auch die Nordwestgrenze zu definieren. Einige spekulierten offen, wie Lukas Meyer[19]: „Da noch durch keine verlässige Urkunde Alpegau's Westgrenze bezeichnet ist, wählen wir -des Zusammenhanges wegen- die Wehra, oder Werrach dazu.“ Kreuter, der Kapitular des Fürstabtes Gerbert, der mit den Urkunden bestens vertraut war, nannte den pagus konsequent richtig mit der Vorsilbe „Alp-“. Eine Westgrenze legte er nicht explizit fest, doch seinem Dienstherrn, der schon Jahrzehnte vor ihm versuchte St. Blasien in das Zentrum von „Alpegovia“[20] zu rücken, kam er soweit entgegen, dass er das damals unerschlossene Reichsgebiet des Zwing und Bann ohne entsprechende Belege dem Alpgau[21] zuschrieb. Cramer, wie schon zuvor berichtet, mischt Urkunden wahllos über viele Jahrhunderte und bezieht auf unseren Alpgau solche die sicher nicht zu unserem gehören, er erfindet einen „Großgau“ Klettgau bei dem der Albgau eine „Theilgaugrafschaft“[22] bildete und dessen Westgrenze er auf dem Bergrücken zwischen Alb und Murg wähnt, ein wahrhaft waghalsiges und willkürliches Konstrukt. Tümbült[23] konstruiert wiederum einen Nachweis, anhand des Habsburger Urbars[24], der knapp zwei Jahrhunderte nach dem Alpgau entstanden ist und keinen Bezug auf diese Zeit nimmt. Die dort erwähnten Orte in der späteren Einung Rickenbach würden, so Tumbült, Hachberg zugeordnet, womit sie zum Breisgau gehört hätten. Schulze benutzt das selbe Argument und erklärt die Murg zur Westgrenze des Albgaues. Tatsächlich werden auch andere Orte im Bereich Schopfheim im betreffenden Abschnitt genannt, wobei einzelne zur Markgrafschaft Hachberg gehörten. Die Orte um Rickenbach sind zur Zeit des Urbars Neugründungen, neben den Habsburgern hatten insbesondere auch Basel und die Klöster bei der Landnahme Rechte erworben. Die Nutzung dieser unwirtlichen Gebiete lässt sich erst ab Mitte des 13. Jahrhunderts nachweisen. Die Täler waren noch bis ins 19. Jh. hineine, abgesehen von der Querungen, unzugänglich und die mageren Böden über dem Grundgebirge sowie der Wassermangel auf den Hochebenen machte die Landnahme wenig attraktiv und bewegte die Siedler aufwendige Wuhren anzulegen. |
Anhang |
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Cramers Gau-PhantasienCramers Gaugeschichte entstand zur Hochzeit der deutschen, nationalen Identitätsfindung nach der Gründung des II. Deutschen Reiches. Offensichtlich las er die Urkunden in der Überzeugung, dass die deutsche Geschichte schon zur Zeit der Römer diesen ebenbürtig war und entsprechend kam es für ihn nicht in Frage seine Interpretation zu hinterfragen oder gar seine Schlussfolgerungen zu relativieren. Was unseren Alpgau betrifft hat er drei Urkunden zum Beweis einer recht eigenwilligen Gautheorie bezüglich des Verhältnisses von Klettgau und „Albgau“ herangezogen: — Die erste Urkunde ist folgende von 912:
Wie schon Neugart etwa ein Jahrhundert zuvor konnte Cramer den Ort „Munichinga“ im Klettgau nicht finden. Während Neugart in seine Urkundenabschrift auf den Ort Wunderklingen spekulierte, war Cramer der Überzeugung mit „Münchingen“ den gesuchten Ort bei Bonndorf im Alpgau ausgemacht zu haben. Das Problem das er nun noch lösen musste war eben dieses, dass dieser Ort nicht, wie in der Urkunde angegeben, im Klettgau lag. — Die zweite Urkunde ist eine von 995[A1]. Auf diese glaubte er auch seine Gautheorie stützen zu können, da in dieser Urkunde der Ort Lutwanga ursprünglich „in pago Cleggou“ angegeben worden, später jedoch in „Albegou“ korrigiert worden sei. Für Cramer ist es klar, dass es sich um den hiesigen „Albgau“ handle und konstatiert: „Lutwanga scheint abgegangen zu sein, wenn es nicht etwa in Ober- oder Unterwangen bei Bonndorf fortbestehen sollte“. — Die dritte Urkunde datiert von 1087.[A2] Diese Urkunde gibt folgende Zeugenliste wieder: „De pago Cletgouve: Gerungus comes de Rŏdelingin. Anno de Rŏdelingin. Arnoldus de Lienheim. Liutoldus de Rŏdelingin. Lampertus de Rödelingin. Heinricus de Witelesperk. Waltherus de Berouva.“ Nun ist auch unbestreitbar, dass zwei der genannten Namen, nämlich Wittlesberg und Berau, sich nicht auf einen Klettgau- sondern auf einen Alpgauort beziehen. Cramer liest nun aus diesen Urkunden, dass der „Albgau“ ein Teil des Klettgaus sei, weswegen er den Klettgau zum Großgau erhebt und den "Albgau“ zur Teilgaugrafschaft degradiert. In keiner der Urkunden wird eine solche Unterscheidung getroffen, doch für Cramer ist das kein Maßstab. Cramers FehlerBei genauer Betrachtung muss man Cramer nun einige gravierende Fehler vorwerfen, die seine Schlussfolgerungen in wesentlichen Punkten wieder zu Makulatur werden lassen. — Zur ersten Urkunde von 912: ![]() Abb. A1: „Minkhinger Wiesen“ in einem Vermessungsplan um 1800. Bei dieser Urkunde lagen bezüglich der Ortsbestimmung von „Munichinga“ im Klettgau die Spekulation von Neugart, wie auch Cramers Zuordnung falsch. Münchingen ist ein abgegangener Ort im Netzbachtal südlich von Grießen. ![]() Abb. A2: „Münchinger Bündten“ und „Münchinger Wiesen“ im Tal des Netzbächlein. Ausschnitt aus dem Gemarkungsplan von 1875. — Zur zweiten Urkunde von 995. Hier ist die Lösung des Problems alles andere als einfach, was auch Cramer bzw. Baumann, auf den sich Cramer stützt, hätten wissen müssen. Das Problem beginnt bereits bei den unterschiedlichen Versionen, in denen die Urkundenbücher den Urkundentext wiedergeben. Eine Version von Kausler zitiert die Urkunde wie folgt: Die zweite Version von Pertz zitiert: Die dritte Version, doppelt von Neugart („in Lutwanga in pago Albegou, et in Raparigahusa in pago Erregou“) und Herrgott („in villa Lutwango, in pago Albegow, & in Rapirgahusa, in pago Erregou“) bearbeitet, erwähnt keinerlei Korrektur. Das nächste Problem mit dieser Urkunde ist die Bestimmung auf welchen pagus sie sich bezieht. Während Neugart und Herrgott sich einig sind, dass sich die Urkunde auf den heutigen Allgäu bezieht, zweifelt Baumann dies an und erklärt: „Im Albgau giebt es keinen Ort d. N.; Lutwanga ist vielleicht der alte Name für das jetzige Ober- oder Unterwangen, A. Bonndorf. Die bisherige Annahme, dass der Alpgau (Allgäu) hier verstanden sei, ist ganz unhaltbar.“ Eine Begründung für seine Ablehnung des Allgäus, früher auch Alp- oder Albgau genannt, als den pagus auf den sich die Urkunde bezieht gibt er hier nicht. In seinem Beitrag über den Alpgau[A3], hier der Allgäu, schreibt er hierzu lapidar: „Lutwanga oder, wie es auch heisst, Liutwanga (Mon.Germ. 20, 631 u. 635) kann schon aus sprachlichen Gründen nicht in Langenwang abgeartet sein.“ Ansonsten beruft er sich auf eine Korrekturvariante der oben beschriebenen Urkundenabschriften. Fakt bei der zweiten Urkunde ist, dass in der Urkunde keine Hilfshinweise, z. B. Zeugen aus einem der pagi oder der Ausstellungsort, der im Hegau liegt, für die Zuordnung herangezogen werden können. Für die Korrekturvarianten ist es wahrscheinlich, dass es zunächst heißen sollte: „Lutwanga in pago Creggou et in Rapirgahusa in pago Creggou“, Schließlich ging es bei „Rapirgahusa“ schon um den „Erregou“ mit einem Verschreiber zu „Creggou“. Wobei bereits dem Schreiber schon ein „l“ statt einem „r“ oder dem Leser untergekommen sein mag. Kern des Problems ist, dass Lutwanga oder Liutwanga zwar durch Neugart zu Langenwang im Allgäu zugeordnet wurde, wobei man auf dessen große Erfahrung vertrauen mag, jedoch passt dieser Ort sprachlich, wie Baumann richtig einwendet, nicht befriedigend. Allerdings passen Baumanns Zuordnungen zu Ober- oder Unterwangen genauso unbefriedigend, wie auch Seewangen oder der abgegangene Ort Ottwangen nicht passen. Die Spekulation durch Baumann auf einen gänzlich unbekannten abgegangenen Ort ist wertlos, da diese für alle pagi gleichermaßen zutreffen könnte. — Zur dritten Urkunde von 1087. In dieser Urkunde sind tatsächlich die zwei Zeugen aus dem Alpgau als letzte der Zeugen aus dem Klettgau genannt. Dass hier einfach vor diesen zwei letzten Zeugen vergessen wurde „de pago Alpegou“ einzufügen, wäre ein möglicher Fehler, der zunächst nur als Behauptung dastünde. Doch dies war nicht das einzige Missgeschick des Schreibers. So vergaß er, wie zu vermuten sei, vor Hecil de Egga „de pago Eregouve“ und vor Odelricus de Liutegeringin „de pago Underse“. Fazit ist, dass Cramer wohl besser Phantasy-Autor als Geschichtschreiber gewesen wäre, wenn auch die Kritik an der Zuordnung von Lutwanga oder Liutwanga zu Langenwang im Allgäu durch Neugart mit der Einschränkung, dass bisher keine bessere Zuordnung gefunden werden konnte, gerechtfertigt ist. |
Endnoten |
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